In der aktuellen Ausgabe der „Business in MG“ zeigt Peter Küsters, Mitbegründer der Firma Greenpass und „Architekt grüner Städte“, im Interview mit Silvana Brangenberg auf, worin Herausforderungen für Städte, Planer und Bauträger in Sachen Klimawandel bestehen. Was hat es mit der grünen und blauen Infrastruktur auf sich? Und wie wird Mönchengladbach auf dem Weg zu einer grünen Stadt eingeschätzt? Nachfolgend können Sie das gesamte Interview aus dem Heft nachlesen.

Peter Küsters bei seinem Impulsvortrag auf dem SmartCity-Summit.Niederrhein 2022 | Foto: Katrin Chodor

 

Städtisches Wachstum versus Klimawandel: Worin bestehen die Herausforderungen für Städte, Planer und Bauträger?

Peter Küsters: Der Klimawandel ist bei uns längst angekommen und wird sich verstärken – selbst wenn wir schon morgen kein CO2 mehr ausstoßen würden. Daher müssen wir uns an das Klima anpassen.

In unseren Städten wirkt sich der Klimawandel verstärkt aus. Es sind nicht die 1,5 °C, auch nicht die wahrscheinlicheren 2,5 °C, die das größte Problem für die Städte darstellen, sondern die sogenannten persistenten Wetterlagen. Zumeist bleiben die heißen Hochs länger stehen; es können aber auch die niederschlagreichen Tiefs lange über einer Region stehen bleiben. Zusammen mit den stärker werdenden Gewittern kommt es somit immer häufiger zu Überflutungen. Das, was an Ahr und Erft 2021 passiert ist, wäre für dicht besiedelte Räume eine noch viel größere Katastrophe.

Auf der anderen Seite werden unsere Städte immer heißer. Schon immer waren Städte wärmer als das Umland. Diese Diskrepanz wird aber enorm zunehmen und zu großen gesundheitlichen Herausforderungen führen. Diesen Sommer hatten wir deutschlandweit bereits 4.500 Hitzetote bei 5–10 tropischen Nächten – je nach Stadt. Tropische Nächte sind jene, die sich nicht unter 20 °C abkühlen und unsere Gesundheit besonders belasten. Die Anzahl der tropischen Nächte wird sich in den kommenden Jahrzehnten vervielfachen; am Niederrhein sind wir davon besonders betroffen.

Die Hitzetoten sind jedoch nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Wir alle sind weniger leistungs- und konzentrationsfähig und werden eher krank, wenn wir ein paar Nächte hintereinander schlecht geschlafen haben. Nicht nur ältere Menschen sind hiervon betroffen, auch Kinder leiden sehr stark unter der Hitze, da sie sich näher am hitzeemittierenden Boden aufhalten.

Auszuweichen und vermehrt am Stadtrand zu bauen, ist keine Lösung, denn dort wird der Wind durch die Vielzahl kleinerer Gebäude umso stärker vorgewärmt und belastet die Stadt in der Folge noch stärker. Zudem ist der Energie- und Ressourcenverbrauch auf dem Land wesentlich höher.

Das heißt, dass wir die Städte stärker verdichten müssen. Aufstocken, höher bauen usw. Das jedoch wollen die Menschen, die bereits in der Stadt leben und arbeiten, nicht, denn dadurch würde sich die Aufenthaltsqualität weiter verschlechtern. Es würden noch mehr versiegelte Flächen und vor allem hitzeabstrahlende Betonflächen entstehen.

Dass Grün, also Pflanzen, und Blau – damit meine ich die Mittel des Regenwassermanagements durch Rückhalt und Versickerung in unseren Städten – die effektivste, kostengünstigste Möglichkeit darstellen, den oben genannten Problemen etwas entgegenzusetzen, und dabei auch noch schön sind, ist inzwischen fast Mainstream.

Versiegelte Flächen müssen entsiegelt werden. Dort, wo das nicht geht, sollte das Regenwasser nicht in den Kanal, sondern in Vegetationsflächen eingeleitet werden. Das entlastet nicht nur unsere unterdimensionierte und teure Kanalisation und verhindert hierdurch Überflutungen, sondern das Regenwasser wird über die Pflanzen auch wieder verdunstet und sorgt so für eine spürbare Abkühlung. Kosten spart es sowieso.

Auch wenn es technisch möglich ist, wir können die Stadt leider nicht in einen Dschungel verwandeln; es würde zu lange brauchen. Die Flächen werden noch für die Menschen benötigt (zukünftig hoffentlich weniger für Autos) und kosten Geld.

Bäume sind aus reiner Kosten-Nutzen-Betrachtung das effektivste Mittel, um der Überwärmung der Städte entgegenzuwirken. Darum ist es auch wichtig, dass wir Bäume nicht nur verstärkt pflanzen, sondern die vorhandenen Bäume in unseren Städten schützen. Ein großer alter Baum leistet ein Vielfaches eines jungen, neu gepflanzten Baumes, der ja zunächst heranwachsen muss. Dies wiederum bedeutet, dass wir jetzt begrünen müssen, wenn wir bald etwas davon haben wollen, und nicht erst in einigen Jahren.

Leider leiden inzwischen auch unsere Stadtbäume ganz besonders unter der Trockenheit der letzten Jahre. Die tieferen Bodenschichten sind so trocken, dass die Winterniederschläge nicht mehr ausreichen, zumal das meiste davon in die Gullys abfließt. Auch weil wir wider besseres Wissen, um Geld zu sparen, den Bäumen zu wenig Platz, insbesondere Wurzelraum, gegeben haben. Ausschließlich Bäume in der Stadt zu pflanzen, geht allerdings auch nicht, da hier die Flächenkonkurrenz am größten ist und bei der Planung meist zu spät an Bäume gedacht wird.

Also müssen wir andere grüne und blaue Infrastrukturen einsetzen. Dachbegrünungen saugen das Wasser dank deren Schwammeffekt auf. Es kann durch die unter anderem von mir mitentwickelten Retentionsdachbegrünungen und gedrosselten Abläufe noch verstärkt werden. Dachbegrünungen kühlen weniger stark und unmittelbar als Bäume, da sie sich weiter weg vom Menschen befinden. Dafür sind Fassadenbegrünungen wiederum fast so gut wie Bäume. Aber Fassadenbegrünungen nehmen weniger Wasser auf.

An dieser sehr starken Vereinfachung der sogenannten Ökosystemdienstleistung erkennt man schon, dass die grünen und blauen Infrastrukturen sehr spezifisch wirken und auch unterschiedliche Kosten mit sich bringen. Einfach mal alles Grün machen, ist also nicht nur aus Kostengründen der falsche Weg. Auch hat jede Stadt, jedes Quartier, jedes größere Gebäude seine ganz spezifischen Herausforderungen. Man könnte auch Krankheitsbilder sagen.

Wir bei Greenpass analysieren den Patienten und empfehlen dann die wirkungsvollste passende Medizin als grüne und blaue Infrastruktur, indem wir mikroklimatische Simulationen der geplanten Baumaßnahmen, also der grauen Infrastrukturen mitsamt den grünen und blauen Infrastrukturen erstellen, um diese – auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten – zu optimieren. Denn letztendlich geht es ja darum, die finanziellen Ressourcen für die Begrünungsmaßnahmen optimal und möglichst wirkungsvoll einzusetzen. Es geht uns also um das Was, Wo und Wieviel Grün und Blau.

Wenn wir in einer sehr frühen Planungsphase eingeschaltet werden, empfehlen wir mitunter, Gebäude anders anzuordnen. Denn die Schattierung durch die Gebäude und insbesondere der Wind spielen im Mikroklima der Stadt eine große Rolle. Im Idealfall begleiten wir alle Planungsphasen vom Vorentwurf bis zur Ausführungsplanung. Das ergänzt sich dann auch wunderbar mit meiner zweiten, in Neuss angesiedelten Firma Küsters Grün.Stadt.Klima, einem Fachplanungsbüro für Gebäudebegrünungen und Regenwassermanagement.

 

Der Hauptstandort Ihrer Firma Greenpass ist in Wien. Seit mehr als zehn Jahren gilt Wien als eine der grünsten und lebenswertesten Städte der Welt. Was macht Wien zu einer der weltweit führenden Städte in Bezug auf klimaresiliente Stadtentwicklung?

Peter Küsters: In Wien hat man schon viel früher den Mut zu unkonventionellen Lösungen gehabt. Hier werden gute Ideen viel schneller ausprobiert und kommen zur Marktreife, werden zum anerkannten Stand der Technik – oder in unserem speziellen Fall zu einer Bauordnung, dem Wiener Modell. Bei jedem größeren Bauvorhaben in der Stadt muss nachgewiesen werden, dass es eine Verbesserung des Mikroklimas ergibt. Dieses Wiener Modell wird inzwischen auch in der Stadt Krefeld eingesetzt. Dieser proaktive Umgang mit Innovationen macht Wien nicht nur schöner und lebenswerter, sondern schafft auch viele Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen.

 

Was ist das Besondere an Greenpass?

Peter Küsters: Dass wir Gründer und unsere inzwischen ca. 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine tolle Mischung aus Forschung und Praxis sind. Einer meiner Mitgründerkollegen ist immer noch Dozent an der Universität für Bodenkultur in Wien, ich selbst bin Techniker für Garten- und Landschaftsbau, also ursprünglich grüner Handwerker. Kennengelernt haben wir uns bei gemeinsamer Forschung und Entwicklung. Daraus ist die Idee entstanden, dass wir diese Kenntnisse und Möglichkeiten, die sich durch immer bessere Daten und schnellere Datenverarbeitung ergeben, in die Praxis bringen müssen.

Das zeigt sich auch in der ständigen Innovationsfähigkeit, in der Möglichkeit dieses auch in der Praxis verständlich und transparent anwenden zu können. Aber z. B. auch darin, dass wir kostenbewusst im Sinne unserer Kunden denken. Nicht nur, indem wir die grünen und blauen Infrastrukturen viel spezifischer und dadurch effizienter einsetzen, sondern auch die Herstellungs- und Pflegekosten bei Bedarf gleich mitsimulieren können. Damit definieren wir das optimale Delta zwischen Wirkungen, Kosten und Nutzen. Meines Wissens kann das sonst noch niemand.

 

Was hat es mit den grünen und blauen Infrastrukturen auf sich?

Peter Küsters: Wir Fachleute sprechen von grünen und blauen Infrastrukturen, denn diese gehören genauso in die Stadt wie eine Wasserleitung, wie Stromleitungen usw. Als Infrastruktur müssen diese auch viel stärker von vornherein mitgeplant werden. Das alles nennen wir Experten das Schwammstadt-Prinzip, neudeutsch auch gerne Nature-Based-Solutions genannt, obwohl wir diese Techniken im Prinzip schon lange kennen, nur bisher zu wenig anwenden.

 

Bei Ihrer Arbeit legen Sie den Fokus auf sechs Themenfelder: Klima, Wasser, Luft, Biodiversität, Energie und Kosten. Haben Sie einen persönlichen Favoriten, der bei der Stadtplanung bzw. -entwicklung unabdingbar ist? Abgesehen von den Kosten.

Peter Küsters: Überflutungen bringen spektakuläre Bilder, die Schäden sind teuer. Aber die Hitze ist die viel größere Bedrohung – nicht nur gesundheitlich, sondern auch im Hinblick auf die Kosten. Zynisch ausgedrückt, ist ein Hitzetoter schnell und billig unter die Erde gebracht, aber die verminderte Leistungsfähigkeit, die hitzebedingten Schäden sind bereits jetzt viel teurer.

Da man sich das Mikroklima wie ein riesiges Getriebe mit großen und kleinen Zahnrädern vorstellen muss, greifen die sechs Themenfelder eng ineinander. Insofern kann es keinen Favoriten geben. Selbst die Biodiversität ist weniger Favorit als mehr eine Art Herzensangelegenheit. Hier geht es nicht darum, den lieben Pflanzen und Tieren ein schönes Zuhause zu geben, weil sie süß sind. Wir Menschen, sogar unsere Wirtschaft, hängen letztendlich von einer funktionierenden Biodiversität ab. Eigentlich ist es die Biodiversität, die mit dem Klimawandel extrem bedroht ist – die große Welle hinter dem Klimawandel. Unsere Städte, also sogenannte Biodiversitätstrittsteine, haben inzwischen eine höhere Biodiversität als die ausgeräumte Kulturlandschaft, daher müssen wir auch in der Stadt etwas dafür tun.

 

Auf dem SmartCity-Summit.Niederrhein haben Sie zum Thema „Digitale Lösungsansätze für eine nachhaltige Klimawandelanpassung und Städteplanung“ referiert. Im Mai gab es einen Impulsvortrag von Ihnen auf der Ausstellung „Einfach grün! Greening the City“ zum Thema „Wirkungen und Optimierungen grüner und blauer Infrastrukturen als Klimaanpassung für lebenswertere Städte“. Wie schätzen Sie Mönchengladbach auf dem Weg zu einer grünen Stadt ein?

Peter Küsters: Da stechen Sie bei mir aber in ein Wespennest … Mönchengladbach ist im Handeln, in der Umsetzung noch weit hinter dem dringend Erforderlichen zurück – nicht unbedingt hinter anderen Städten, da sieht es meist nicht viel besser aus –, auch wenn es in Mönchengladbach in ein paar Jahren das absolute Vorzeigequartier Seestadt mg+ geben wird, wo mikroklimatische Aspekte eine große Rolle in der Planung spielten.

Ich hoffe, dass es auch bei weiteren Baumaßnahmen, wie z. B. den Maria-Hilf-Terrassen angewandt wird. Der Einsatz des Wiener Modells würde das verbindlich machen. Es wäre transparent und fair und spart zudem in der kommunalen Verwaltung viel Zeit und Geld. Denn hierfür müssen nicht wie üblich Vorschriften zu Begrünungsmaßnahmen über den B-Plan oder städtebauliche Verträge mit den Bauherren vereinbart oder Ausgleichsmaßnahmen berechnet werden, welche ohnehin nur dazu führen, dass außerhalb des Stadtkerns begrünt wird, was schwer kontrollierbar und oft auch nicht von Dauer ist.

Das große Problem ist, dass es einfach nicht reicht, wenn neue Gebäude und Quartiere in der Stadt klimaresilient gebaut werden. Wir müssen auch an den Bestand ran, an bestehende Gebäude und Flächen in der Stadt. Da muss die Stadt selbst Vorbild sein. Hierzu haben der Bund und auch das Land immer wieder neue Fördertöpfe, die die Kosten bis zu 85 % übernehmen. Die Gelder können auch zu großen Teilen an die Bürger weitergegeben werden. Aber an die Mittel kommt man halt nicht mit einer kurzen E-Mail ran. Hier muss man sich schon Mühe geben und Konzepte entwickeln, die aufzeigen, was man genau mit dem vielen Geld macht.

Das erfordert Personal und Expertise, die auch in Mönchengladbach zu wenig vorhanden ist. Die Experten hierzu findet man logischerweise auch nicht auf der Straße. Die Mönchengladbacher Klimabeauftragte, die, wie ich höre, einen sehr guten Job macht, hat mit dem populäreren Klimaschutz schon alle Hände voll zu tun. Da bleibt die ebenso notwendige Klimaanpassung auf der Strecke. Ich hatte auch bereits mit weiteren sehr engagierten Mitarbeitern der Verwaltung zu tun, die aber auch bereits an ihren Grenzen angelangt sind.

Sowas könnte man beispielsweise zu einem Teil outsourcen. Wir werden immer wieder von Städten hinzugezogen, um mit ihnen die Anträge auszuarbeiten. Da kommen mal schnell ein paar Millionen Euro für eine Stadt wie Mönchengladbach zusammen. Wir kennen die Triggerbegriffe und die Konzepte, die die Fördermittelgeber sehen wollen, sehr gut und haben auch ganz andere technische Möglichkeiten, um z. B. eine realistische Potenzialanalyse und Kostenermittlung durchführen zu können.

Es gibt auch jetzt schon Möglichkeiten, die die Stadt Mönchengladbach ausschöpfen könnte. Andere Städte erlassen die Niederschlagswassergebühr zu mindestens 50 Prozent, wenn Flächen entsiegelt werden. Dachbegrünungen sind aufgrund des Schwammeffektes auch entsiegelte Flächen. Aber in Mönchengladbach wird die Niederschlagswassergebühr für begrünte Dächer nur um 10 Prozent gesenkt.

Die 18.000 m² der Dächer des Monfort-Quartiers beispielsweise sind eine nachgewiesene Hitzequelle in der Innenstadt. Dort haben wir vor über zwei Jahren eine kleinere Dachfläche begrünt. Regelmäßige Messungen, die wir seitdem dort durchführen, haben eine signifikante Senkung der Temperaturen und einen Rückhalt des Regenwassers ergeben. Nach Aussage des Eigentümers würden diese Dachflächen sofort begrünt werden, wenn die Regenwassergebühren um die in anderen Städten üblichen 50 Prozent reduziert würden. Denn dann amortisiert sich die Begrünung in diesem zugegeben etwas speziellen Fall – da unter Denkmalschutz und somit schlecht isoliert – sehr schnell. Unter solchen Voraussetzungen würden sicher auch andere große Dachflächeneigentümer mitmachen.

Dass die Stadt auf die Niederschlagswassergebühren angewiesen ist, ist leider nur ein sehr kurz gedachtes Argument. Damit werden die Bürger und vor allem folgende Generationen mit Gesundheitskosten belastet. Und sollte auch in Mönchengladbach mal ein Starkregenereignis stattfinden und bestenfalls nur ein paar Keller volllaufen, wird man sich nicht nur ärgern, dass man das hätte vermeiden können.

Allen voran braucht es eine bessere Sensibilisierung zu diesem Thema. „Einfach Grün“, der SmartCity-Summit und vielleicht auch dieses Interview tragen hoffentlich dazu bei.